Texte
Alles hat seine Ordnung…
Marc P Sahli
To do liste….

1. Was ist eine Liste (Substantiv, fem.)? Eine schriftliche Zusammenstel-lung, Aufstellung nacheinander, besonders untereinander unter einem bestimmten Gesichtspunkt aufgeführter Personen oder Sachen, sagt der Duden.
2. Aufstellung, Index, Register, Tabelle, Verzeichnis, Zusammenstellung, Rodel.
3. Ich liebe Excel-Tabellen.
4. Was noch? Lohn- und Mängelliste, Passagier und Einwohner-Liste….
5. Was ist auf meiner To-do-Liste? Vieles. Endlich Bilder hängen. Und so-wieso putzen, abstauben, staubsaugen.
6. Steuern ausfüllen. Das kann noch warten.
7. Ach, und die Gästeliste von Samstag. Wer hat noch zugesagt?
8. Die Einkaufsliste ist auch noch zu ergänzen mit: Brot, Milch, Butter, Kar-toffeln; das Alltägliche nicht vergessen.
9. Darf man mit dem Coop-Sack ins Migros?
10. Sind Viagra eigentlich auf der Dopingliste? Alles auflisten. Adres-senliste, ach ja die…. Das wartet auch noch, abgleichen und aufda-tieren, auflisten.
11. Und mir kommen Wahllisten mit Kandidaten und deren Namens-listen und Lebensläufen in den Sinn. Alle 4 Jahre blüht das den Stimm-bürgern wieder. Wen wählen? Eine ganze Parteienliste in die Wahlurne einwerfen?
12. Heute war eine Unterschriftenliste im Briefkasten wegen der Ab-fallentsorgung.
13. Wo ist meine Streichliste vom e-banking? Das wurde doch längst abgelöst von einem elektronischen System.
14. Der Listenführer muss noch einen Listenauszug verlangen, ja lis-tenmässig durchchecken.
15. Wer ist auf der Rednerliste der Parteiveranstaltung?
16. Die Teilnehmer sind anzumelden, die Teilnehmerliste ist sauber zu führen. Alles hat seine Ordnung. Das ging fast vergessen vor lauter Lis-ten. Dabei natürlich die Kontrollliste führen!
17. Wer ist überhaupt auf der Bücherbestsellerliste? Gibt es ein Buch über die Wörter-und-Unwörter-des-Jahres-Liste?
18. Wunschliste
19. Dabei bleibe ich auf der Watchlist von Youtube hängen. Nr. 1 der Hitliste? Einfach auf der Playlist bleiben, denke ich, das kommt schon noch gelistet.
20. Dabei denke ich: wer ist in der Ski-Abfahrts-Meisterschaftsrangliste? Am besten im Sportteil der Zeitung die Ergeb-nisliste checken.
21. Die fast wichtigste Frage, weil es über Krieg und Frieden in einem Wohnblock entscheiden kann: ist der Waschküchenbenutzplan auch eine Liste?
22. Vieles ist auf meiner Abschussliste…Auf meiner Wunschliste ist letztlich nur noch schlafen und keine Formulare mehr; träumen darf man doch, oder?
23. Ich denke ich sende diese Kurzgeschichte an die Empfänger auf meiner Mailinglist.
24. Was eigentlich noch zu tun wäre: die Steuererklärung endlich ausfüllen!!


Bistro

Aus dem Lautsprecher ertönt ein Lied mit dem Text «…sans fumer, sans alcool – je vol…»
«Ah, c’est sentimental!», meint eine dicke Frau am Bistrotisch. Sie sitzt rauchend vor ihrem offenbar obligaten Halbliter Weisswein. Wir sind in Fribourg in irgendeinem Bistro und die wände sind gelb, die Spielautomaten leuchten, an der Bar hats verschiedene Sorten Pastis. Der Steinboden knirscht unter den Füssen und es wird langsam spät. «C’est jou-jou», sagt sie wie beiläufig nur für sich. Für noch einen Halben reicht die Zeit. Santé.
Was noch zu tun ist: nach Hause gehen, noch eine Flasche billigen Weisswein im Bahnhofladen kaufen? Und was ist mit der Patientenverfügung?


#metoo im Dorfrestaurant Löwen

Nelly Wälty, eine ältliche Serviertochter im Löwen, dem Dorfrestaurant, hat ihren Waschtag und hängt ihre Wäsche an die Leine. Sie nimmt eine Unterhose in die Hand, ja Unterhosen, sie haben ja schliesslich nicht mehr das Format der Höschen von früher, vor etwa 30 Jahren. Ihre Augen sehen durch das kochfeste Gewebe hindurch, vor ihren Augen läuft ein Film ab.

1980.
Der Gemeindepräsident sitzt mit den Gemeinderäten im Löwen. Alle haben genug Öl am Hut nach der Gemeinderatssitzung, locker sitzen sie am Tisch, lachen, erzählen frivole Witze. Der Gemeindepräsident schwitzt, sitzt breitbeinig auf dem Stuhl, kippt sein Bier in den dicken Hals, wie andere Wasser bei einem Sonnenstich. Der Zigarren- und Zigarettenrauch vernebelt die Szenerie und ihre Sinne. Am Nachbartisch klopfen die Männer einen Jass. Fäuste knallen auf den Tisch und sie bellen einander während des Spiels Worte an den Kopf.
Die einzige Frau im Raum ist Nelly, sie hat neu im Löwen angefangen als Serviertochter zu arbeiten.

Der Gemeindepräsident mööget «Frölein» und Nelly begibt sich an den Gemeinderatstisch. Der Gemeindepräsident verzieht sein Gesicht zu einem Grinsen, die Zigarre verschiebt sich in die linke Mundecke, er grinst, raucht und schwitzt. Er legt seine verwärchete Hand, gross wie eine Bratpfanne und dick wie ein Stiik im Löwen und seinen Wurstfingern um die zarte Hüfte von Nelly. «No es Grosses, gäu», brüllt er wie ein Alphalöwe. «No es Haubeli Gamay, Schätzeli», flattiert der Gemeindeschreiber. Der Gemeindepräsident tätschelt gönnerhaft auf die Hüfte von Nelly, grinst wieder, und seine Zigarre verschiebt sich nach rechts. Nelly lächelt verunsichert und denkt, dass das so sein müsse.

«So Nelly, wartet niemer uf di dehei?» und «bisch scho no es chächs», lacht der Gemeindepräsident und schaut mit glasigen Augen in die Männerrunde zur Bestätigung. Nelly richtet das Jupe, das Serviceportemonnaie am Gürtel und ihr weisses Schürzchen und geht zum Buffet.

Es ist spät, sie ist seit 12 Stunden auf den Beinen. Aber die Gemeinderatsrunde rausschmeissen liegt nicht drin, ist ja schliesslich sehr einträglich, jede Woche. Woche für Woche macht der Gemeinderat des kleinen Dorfes Politik. Frauen haben da gar nichts zu melden. Wenn sie jetzt noch zu den Dorftrott…äh -oberen sitzen würde und noch einen schlüpfrigen Spruch machen würde, so kurz vor dem einkassieren, ja das würde sich lohnen. Da sitzen die Geldbeutel der Dorfpolitiker locker. Das gibt dann wieder bitter nötiges Trinkgeld, willkommener Zustupf zum schmalen Gehalt.

Nelly Wälty hält inne, nimmt die nächste Wäscheklammer, hängt die Unterhose auf die Leine. Ja ja, ihren Dani hat sie allein grossgezogen. Sie hatte es damals nicht gewagt, vom Gemeindepräsidenten einen Vaterschaftstest machen zu lassen. Dafür muss sie heute niemandem «Danke» sagen. Sie war stark genug für Kind und Arbeit. Me too, denkt sie für sich, seufzt und denkt, ja, «#me too».
Was noch zu tun ist für die Politik: viel. Strenge Gesetze gegen sexuelle Belästigung, Schutzmassnahmen, Null-Toleranz-Politik, Sensibilisierung und Schulungen, konsequente Gleichberechtigung, ach noch was: echte Löhne, die zum Leben ausreichen.


Worte können heilen oder schneiden

Hey Alex, hier ist Mami. Diese Worte bedeuten für den fünf Monate alten Alex offenbar die Welt. Man sieht es seinem strahlenden Gesichtchen an. Alex war seit Geburt taub und konnte dank einer OP endlich hören. Wenn wir dereinst Rechenschaft über jedes unnütze Wort ablegen müssen, das wir geredet haben, weil wir aufgrund unserer Worte freigesprochen oder verurteilt werden sollen (Matth. 12.36), dann wehe den Schwadronierern und Politikern aller Couleur mit ihren Fakenews. Das Wort wird so zur Vokabel, um sinnlos zu verhallen; wer das Falsche sagt, wird aus der Gemeinschaft der Demokraten exkommuniziert, und man verweigert jede Diskussion. Jedes Argument wird so Beleidigung, Denunziation. (NZZ 18.04.18).

Schlüsselworte haben im Internet bereits einen berechenbaren Wert, dafür gibt es den Keywordplaner; Klickfänger sind lukrativ. Wortschatz kann offenbar neuerdings kapitalisiert werden auf sogenannten Begriffsbörsen.

Alex‘ Mami wird ihm sicher vorsingen, ihm Gutenachtgeschichten erzählen, denn das Erzählen ist in der menschlichen DNA eingeschrieben. Nur eine erzählte Welt, ein erzähltes Geschehen ist wirklich. Alex wird als Hörender lernen, wie Worte schneiden oder heilen können.

Mir kommt jetzt die Geschichte von Fritz und seiner verstorbenen Frau Erika in den Sinn. Immer habe Fritz jahre- ja jahrzehntelang seiner Erika nach dem Znacht den Kaffee zum Sofa gebracht, wo sie zu liegen pflegte. Jedes Mal sagte sie danke, aber er habe ihr nie, aber gar nie bitte gesagt. Und jetzt sei es zu spät, da sie gestorben sei. Er könne ihr nun nie mehr bitte oder bitte, gärn gscheh, sagen. Er habe doch noch so viel zu sagen und es gebe nun kein Gegenüber mehr.

Was noch zu tun wäre: wir alle sollten einem Gegenüber Respekt zollen, lieber zu oft Danke und Bitte sagen, bevor es zu spät ist.
 
schliessen
Texte
10. November 2024
 
10. November 2024
 
10. November 2024
 
04. August 2024