Texte
Familienfest
Familienmelodien 1 und 2
Dora Kostyal-Berecz
Familienmelodie 1

Nach jedem Schlag mit den Stecken ins Feuer, springen die Funken in den nächtlichen Himmel hoch. Geheime Zeichen, rote Botschaften leuchten auf, um Sekunden später das Dunkle als noch dunkler erscheinen zu lassen. Etwas überdreht zur späten Stunde, können die Kinder in Grossmutters Garten mit dem Zauber nicht mehr aufhören.

Nun haben im Kreis alle ihren Hunger mit dem bescheidenen Essen gestillt; der Älteste Mitte achtzig, das Jüngste sieben.
Ein grosser Strauss an Lebensgeschichten und Erfahrungen: auch im Krieg gesammelt, einige von ihnen in Gefangenschaft, dadurch versehrt an Seele und Einzelne auch am Leib. Aber alle sind da. Niemand ist in der Fremde auf verschneiten Feldern liegen geblieben, die Augen mit der unbeantworteten Frage gegen den Himmel gerichtet: Warum? Oder mit ausblutendem Herzen im Schlamm versunken, jung und voller Sehnsucht nach Leben.

Geschichten, die sich für Kinder wie Märchen anhören – irreal und unfassbar, manchmal witzig-makaber, dennoch ohne jede Schönheit. Für die Erwachsenen – so vierzehn Jahre nach den Kriegswirren - langsam auch wie Märchen, wären da nicht noch die vertrauten Hände mit fehlenden Fingergliedern oder die immer wieder erwachenden Alptraumbilder des Ehemannes, des Sohnes, des Bruders.

Die später erklingenden Lieder kennen alle, auch die Kinder singen mit. Vater und Onkel spielen zweistimmig auf ihren Geigen. Ihre Gesichter werden nicht nur vom Licht des Feuers erhellt. Und die Frauen der Musikanten ahnen nicht, dass ihre geheimen Tränen, trotz der Dunkelheit, für die Kinder sichtbar sind. Tränen der Erinnerung? Der Träume? Der Sehnsüchte oder vielleicht der Enttäuschungen? Jetzt sind sie vierzig. Während des zweiten Weltkriegs des schwer davon betroffenen Landes waren sie zwischen zweiundzwanzig und sechsundzwanzig.
Eine grosse Familie, die Menschen aus den verschiedensten Milieus mit unterschiedlichen Hintergründen und Charakteren zusammengewoben.
Der Gesang ist leise, die Musik folgt den Gefühlen. Oder umgekehrt?
Ein-zwei Gläser Wein, nicht mehr, bis das Feuer erlischt.

Nach siebenundfünfzig Jahren treffen sich zufällig zwei Bekannte auf der Strasse. Der Ältere, ein ehemaliger Nachbar, berührt die jüngere und sagt: Ich denke heute noch in manchen Sternennächten an euere Feste, wie wunderbar Musik und Gesang, getragen vom Duft des Feuers und des gebratenen Specks, über die Gärten zu uns hinüber schwebten – leise, aber voller Bilder, die nur für diejenigen sichtbar waren, die still lauschten.


Familienmelodie 2

Die Kinder von damals sind erwachsen. Eine von ihnen, inzwischen selber Grossmutter, hat Gäste eingeladen, u.a. Sohn, Schwiegertochter und Enkelkinder, die weit weg leben und selten auf Besuch kommen.

Es fehlt an nichts.

Der Tisch für das Fest ist diesmal reich gedeckt, Braten- und Kuchenduft ringen um Aufmerksamkeit.
Niemand muss frieren, alle sind gesund und Europa lebt in Frieden. Die Kinder spielen friedlich in der Mitte, Geschenke werden ausgepackt.

Da fällt plötzlich ein Satz, scharf wie ein Schuss und trifft entsprechend tief.
Ein unerwarteter Angriff, völlig unangemessen und offenbar unüberlegt. Zuerst herrscht Sprachlosigkeit, dann reagieren die anderen ihrem Status entsprechend. Die Grossmutter mit Verwunderung angesichts des überraschenden „Geschenks“. Der Sohn – spürbar in einem Loyalitätskonflikt - mit Beschwichtigungen, bzw. bei den wiederholten, noch lauteren und noch einseitiger verblendeten Vorwürfen mit Argumenten, die zu sitzen scheinen. Der Rest schweigt.

Die Energie der jungen Frau ist nun wie die eines blind bellenden, wütenden Hundes. Keine Botschaft mehr erreicht sie, nicht die verbale, auch nicht die taktile: keine Berührung ist mehr möglich. Taub von der eigenen Lautstärke, blind vom Feuer der eigenen Wut.

Niemand ahnt, woher das kommt, es fühlt sich wie ein Erdbeben an. Die Kinder sind nun aus dem vertieften Spiel herausgerissen. Der Junge hält sich die Ohren zu, die Kleine fängt an zu weinen. Als die ältere Frau die Hand reichen möchte, um die Tobende zur Besinnung zu bringen, explodiert diese erst recht. Im Nu werden Kinder und Rucksack gepackt. Sie fegt mit den Kindern zum Bahnhof, aber nicht ohne vorher noch die Warnung hinter sich zu werfen: Niemand dürfe ihr folgen oder sonst etwas unternehmen.
Die anderen bleiben bestürzt und ausgehöhlt zurück.

Was werden die Erinnerungen der Kinder an dieses Familienfest in fünfzig Jahren sein?

An ein Familienfest, an dem doch etwas fehlt.
 
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