Digital genial – oder doch fatal?
Elisabeth Böhm
18. Mai 2025
Wir sind im digitalen Zeitalter keine Frage, im Fingerzeitalter, digitus lateinisch der Finger. Mit Zeigefinger, Daumen und Mausklick navigieren wir durch das Handy und den PC, schreiben elektronische Nachrichten, klicken und drücken uns durch den Tag und durchs Leben. Der Computer macht das möglich, die elektronische, digitale Rechenmaschine. Gibt man auf Wikipedia «Erster Computer» ein, erscheint unter anderem ein mechanisches Gerät namens Antikythera, gefunden, gehoben und benannt nach dieser griechischen Insel in einem Schiffswrack. Man nimmt an, dass es sich dabei um einen Astronomischen Kalender aus dem ersten Jahrhundert vor Christi handelt.
Ein mechanisches Gerät mit circa 30 Zahnrädern, welches nicht nur die Stellung der Planeten sondern auch die Olympischen Spiele errechnete. Über 120 Jahre sind seit der Entdeckung vergangen, und noch immer versucht die Wissenschaft das Gerät nachzubauen und zu entziffern. Ja, die alten Griechen schauten noch zum Himmel, konnten noch zum Himmel schauen, denn es war dunkel und voller Sterne. Sie orientierten sich an ihnen, wussten von den Umlaufbahnen der Planeten und der Sternbilder, konnten mit diesem Gerät auch Finsternisse berechnen und daraus Saat-und Erntezeitpunkte ablesen.
Heute sieht man vor lauter Kunstlicht die Sterne kaum und die riesigen Sterne, die in der Dämmerung auftauchen, entpuppen sich nach kurzer Zeit als Scheinwerfer von Flugzeugen. Kürzlich freute sich ein Journalist in einer Kolumne über einen wahrhaften Sturm von Sternschnuppen, die er draussen in der Wildnis im oberen Amazonasgebiet mit einem Kollegen gesehen hat. Wow welches Ereignis! Sich schnell was wünschen, am besten für jede Schnuppe etwas! Und zu Hause, am Computer das Phänomen nachschauen, nein, dem sagt man heute googeln. Mitnichten waren das Sternschnuppen! Der reichste Mann der Welt jagte in dieser Nacht eine Serie von Satelliten in die Umlaufbahn! Vorbei ist’s also mit romantischen, lauschigen Sommerabenden. Keine Sternlein, die golden prangen. Wir sind umzingelt von Technik.
Ein ganzes Satelliten Netz überspannt die Erde. Über 10'000 Stück kreisen drumrum, blinken und summen und senden rund um die Uhr und rund um den Globus Signale, zu einander und auf die Erde, in den Anfängen gedacht für militärische Zwecke. Die Erde wird aus dem Weltall kartiert, dient als elektronische Orientierungshilfe in Feindesland. Die Brosamen gehören seit eh und je dem Fussvolk, sie konsumieren über das Handy, was aus dem All herunterfällt, GPS kann man auch in hiesigen Gefilden nutzen, damit lässt sich zum Beispiel gut wandern, und wer nicht rechtzeitig begreift, dass er sich in den Steilhängen von Aesch verlaufen hat, ruft die Rega. Alles machbar, alles möglich Dank Satelliten im Weltraum.
Die Satelliten strömen nicht nur Konsum und Infotainment in die gute Stube, sondern auch Lichtspuren, worüber sich die Astronomen begreiflicherweise ärgern, denn ihre Fotos von den Geheimnissen des Weltalls sind mit Lichtstrichen rasterartig übersät.
Ob des übermässigen Verkehrs im All wird bereits an einem Weltraumverkehrsgesetz herum gedacht. Hat es dort oben denn nicht genügend Platz? Der Expansionsdrang einzelner Egoisten ist unendlich.
Und während die neue Technik uns neue Wörter beschert wie Upload, Download, tip und click und scroll und Login und Logout, Pop up, Plug-in, Plug-out, Router, Browser Touchscreen, Bluetooth, Firewall, Firefox, Smartphone, I-Phone, I-Tunes und Hühnerei und ei ei ei, lernen wir nebenbei noch Englisch, welches sich bereits in unsere Alltagssprache eingeschlichen hat.
«Ich bin uf dä Blumenbörse gsi, weisch für Merchandiser, ja das isch würkli nice gsi.»
«De macht mega cooli Sache, du, nei, das isch voll crazy»
«Das isch dini once in a livetime chance, die muesch unbedingt packe, das chunnt niemeh, hey, du als Chief Information Security Officer, das isch voll mega!» Die Militärische Sprache hat, seit sich die Amerikaner die europäische Wirtschaft unter den Nagel gerissen haben, in den Chefetagen Einzug gehalten.
Der Coiffeur wirbt mit «Embrace your beauty»; auf den Abfalleimern wird für die Abfalltrennung auf öffentlichem Grund geworben: «You’re a recycling champion! Thank you for separating your waste.» Selbst die Armee beschriftet das Gepäck der Soldaten in der neuen fünften Landessprache: «Swiss Armed Forces»
«En coole Abig hey», «E cooli Frisur», «Cool, s’isch eifach coll gsi». Cool, einfach cool, kühl, kalt, wie die digitale Technik.
Auf der Notfallstation wird man von der First look nurse empfangen und zum Warten in die Lounge gebeten, doch wer jetzt glaubt, dort lägen Sofas mit kuscheligen Kissen zum chillen irrt: Schalensitze aus Kunststoff gegossen, kühl aber nicht cool, unbequem und hässlich, ein Cupli wird nicht serviert. Very uncool. Da brauch ich doch glatt eine Snack-Attack, die mir der Selecta-Automat anbietet! Für eine Operation wird man zu einer «Same day surgery» eingeladen, da kann man nur froh sein, dass der Chirurg seine Instrumente nicht mittendrin fallen lässt, um an einen Fussballmatch zu gehen.
Der Kartonbecher fordert love nature, und der Teebeutel sagt mir, wie ich einen Cracking Cupper machen kann: longer if you like it stronger! Sip and enjoy! Als ob wir keine eigene Sprache hätten.
Der Getting ready Raum in der Hochzeitslocation, ist für die Braut reserviert; Save the date und Save the Queen, Topits und Grandits, Swiss skills und Swissness, Space 2 rent und Room 4 you, Chicken nuggets und planted meat - Hühner Klumpen und pflanzliches Fleisch. Wer würde das essen, wenn es in Deutsch angeboten würde? Die Kinder bestimmt nicht.
Kolonialisierung durch Sprache und Kulinarik.
Kürzlich hatte ich einen Disput mit einem Redaktor, ich solle richtig gendern, das grosse I sei aus der Mode gekommen und jetzt das Gendersternchen benutzen, damit würden auch non binäre Menschen mit einbezogen. Ich gendere, du genderst, er/sie/es gendert, wir gendern, ihr gendert, sie gendern? Tönt eher nach Schändung der deutschen Sprache.
Es gibt offenbar Menschen, die sich als non binär empfinden, also nicht aus zwei Teilen bestehende technische Einheit, nicht als binary digit nicht als Bit. Verständlich, ich verstehe mich auch nicht als technisches Zeichen. In Basel soll es mittlerweile 72 Geschlechter geben, wer hat da noch den Überblick, da hat es sich der Herrgott doch einfacher gemacht nur mit Männlein und Weiblein.
Wo sind wir gelandet? Was ist das für eine Welt, in der alles per Zeigefinger und Mausclick funktioniert? Eine Gesellschaft, welche Cancel Culture betreibt und Genderverwirrung stiftet? Und das alles ganz einfach, alles super easy?
Über unseren Köpfen eine gigantische Infrastruktur, ein Netz an Technik, in das wir uns mehr und mehr verstricken, und Handysüchtige jetzt schon darin zappeln wie die Fliegen im Spinnennetz. Es werden Daten gesammelt wie einstmals Beeren, exzessiv und rauschartig, dazu braucht es leistungsstarke Rechner, um dies alles zu verarbeiten und in irgendeiner Datei auf irgendeiner Cloud über dem Himmel, in einer Wolke im Nirgendwo, virtuell abzuspeichern.
Alles geht schneller und noch schneller, wer wird der Erste sein? Wohin rennt die Menschheit in ihrem Hamsterrad wie eine in Panik geratene Kuhherde, ohne je ans Ziel zu gelangen? Ja, die alten Griechen wussten mit weniger technischem Aufwand mehr von der Welt, weil sie beobachten konnten, weil sie Zeit hatten, zu beobachten.
Wir hingegen werden durchleuchtet und durchscannt, bald werden wir auch durchschaut. George Orwells 1984 ist längst Realität. Allerdings überwacht uns nicht der Staat, sondern die Privatwirtschaft. Ist dies nun der Fortschritt der Menschheit, in der sich einige Wenige bereichern und jeder in seiner eigenen Bubble lebt, nicht wahrnimmt, dass das Leben an ihm vorbei geht? Ist das der angestrebte Wohlstand? Bloss aufpassen, dass die Bubble nicht wie ein Bazooka Kaugummi platzt und im Gesicht kleben bleibt!
Schöne neue digitale Welt.