Texte
Liebesbrief
Dominique Maurer
Sehr geehrte Frau D.
Darf ich Sie beim Vornamen nennen? Ich verspreche, ich werde Sie siezen, solange Sie das wollen. Ich schwöre es. Gerade Sie würde ich gerne duzen! Ausgerechnet Sie verbieten es mir – noch. Aber ich verstehe Sie gut, das ist nicht das Problem. Was heisst schon Problem. Ich will es Ihnen einfach gleich sagen: Ich bewundere Sie. Und – hol’s der Teufel – ein bisschen verliebt habe ich mich auch in Sie. Deshalb schreibe ich Sie an. Vielleicht nicht nur deshalb. Ach, sei’s drum!

Als ich Sie kürzlich wieder gesehen habe, liebe M, trugen Sie etwas, das mich sehr irritiert hat. Ich kann mich nicht mehr an den oberen Teil Ihres Kostüms erinnern aber ich weiss noch genau, wie es vom Bauchnabel abwärts, runter zu den Füssen ausgesehen hatte. Sie waren einfach nur mit ein paar Strumpfhose bekleidet. Ich fand das natürlich total mutig – klar, Sie wieder! Und doch war es das Outfit, das mir am wenigsten gefallen hat von Ihren vielen traumhaften Roben. Vielleicht gerade deshalb ist mir diese Strumpfhose jedoch immer nachgegangen. Ich habe mir dann vorgestellt, wie es sein könnte, so wie Sie zu sein und wollte Sie nachmachen. Ich bin abends in einem hauchdünnen smaragdgrünen Baumwoll-Nachthemd auf die Strasse spatzieren gegangen. Darüber trug ich einen dunkelgrauen Blazer mit Schulterpolstern. Als ich unterwegs war bemerkte ich: Was für ein Gefühl! Ich war froh, endlich eine Lösung gefunden zu haben, um meine Bekleidung situationsgerecht darzustellen. So war ich in Stimmung, so passte es. Oben mächtig und unten frei. Auf diese Art will ich’s nun immer halten. Eines ist mir allerdings jetzt schon klar: Mit Ihnen kann ich mich nicht messen. Sie, blonde Göttin, schlanke ranke Lichtgestalt mit dem Gesicht einer Madonna (Sie verzeihen meinem melodramatischen Schreibstil, aber ICH KANN NICHT ANDERS) - Sie stehen über mir: Dort wo ich meine Beine in einem marokkanischen Nachthemd verstecke, (es war übrigens eher ein helles Türkis, das Nachthemd) dort stehen Sie in nichts als hellbeigen, fast weissen Strumpfhosen da und erklären, wie es um die Welt steht. Aber Sie sind doch meine ganze Welt! Ich habe mich sogar darauf konzentriert, Ihnen gar nicht mehr zuzuhören, sondern schaue nur noch, was Sie tragen - alles andere ist einfach überflüssig. Vielleicht kann ich den Kern Ihrer Aussage durch Ihr Outfit erspüren? Wie ich Sie kenne, überlassen Sie nichts dem Zufall. Alles ist gewiss fein säuberlich durchdacht worden in Ihrem süssen Köpfchen, lange bevor Sie mal im Look der Zwanzigerjahre des vergangenen, mal in dem des aktuellen Jahrhunderts erscheinen. Es ist immer richtig. Auch das mit der Strumpfhose war völlig richtig, obwohl ich es im ersten Moment nicht wahrhaben wollte. Bis ich es todesmutig selbst ausprobiert hatte, unten praktisch unbekleidet ausser diesem hauchdünnen Baumwollfähnchen, durch das man im Gegenlicht alles sehen kann und oben: klar und deutlich. Glauben Sie mir: Ich habe in dieser Bekleidung in der Dämmerung meines Quartiers genug der Wahrheit Ihrer Aussagen bezeugen können. Im Grunde genommen war ich froh, Ihnen an diesem Abend nicht zugehört zu haben. Denn wer weiss: Es wäre gut möglich gewesen, dass ich durch Ihre Wortgewalt und Ihren Geist dermassen aus der Fassung geraten wäre, dass ich den wirklichen Zusammenhang nicht erfasst hätte und dabei überdies auch gar keine Konzentration gehabt hätte, um Ihr Kostüm genau zu betrachten. Ich hielt es daher für legitim und ehrlich, Ihnen nicht zuzuhören. Sie verstehen mich doch, nicht wahr? Sie nehmen es mir doch nicht übel? Ich kann Ihre Sklavin sein, wenn Sie wollen, als Busse, wenn Sie fänden, es sei falsch gewesen, meine Ohren zu verschliessen vor Ihnen. Aber ich weiss doch, dass Sie nur wunderbare Sachen sagen, warum soll ich denn da überhaupt noch hinhören? Nein, bei Ihnen kann ich mich einfach entspannen. Ich muss nicht immer auf der Hut sein: Achtung, jetzt wird es abstrus, jetzt ist es nicht mehr lustig. Nein, bei ihnen ist nichts abstrus und alles lustig. So darf ich Sie einfach nur anschauen. Endlich habe ich mein alter ego gefunden.

Was habe ich jetzt da gerade geschrieben? Verzeihen Sie, jetzt ist etwas aus dem Unbewussten rausgerutscht. Dieser Satz war nicht vorgesehen – ich weiss nämlich gar nicht so genau was ein alter ego ist. Das Wort ist ja auch zu komisch, nicht wahr? Also ich projiziere jetzt einfach mal alles in Sie hinein und bastle mir daraus ein alter ego oder ähnlich.

Wenn Sie sich fragen, liebe M., warum ich Ihnen das alles schreibe – eigentlich müssen Sie die exakten Farben meiner Kleider und meine klugen Gedanken nicht interessieren. Betrachten Sie dieses Schreiben einfach als eine Art Bewerbungsschreiben. Eine Blind-Bewerbung sozusagen. Es könnte ja sein, dass Sie für mich einen Assistenzposten hätten – oder sogar einen schaffen könnten. Ich könnte Ihr Sparring Partner werden oder wie sagt man dem in einer Talkshow, der dem Master immer die Steilpässe für die Pointen liefert? Ich könnte quasi Ihr Sancho Pansa sein. Sie könnten sich an mir abarbeiten – es wäre mir egal, ich wäre gerne der, der’s abbekommt. Es können einfach nicht alle wie Sie sein: Es braucht immer einen Don Quijote, der vorausreitet. Und den Sancho, der lieber rumsaufen würde, aber er muss seinen mutigen Herrn doch stets auf seinen Auszügen begleiten, anders geht’s nicht!

Nun wieder zu Ihnen, meine Liebe. Im Laufe des Briefschreibens habe ich gemerkt – das mit dem «Siezen» hat schon was, denn man weiss am Ende nie, ob man es nicht später bereuen würde, wenn... Auf alle Fälle: Wie habe ich Sie vermisst – wie vermisse ich Sie auch jetzt.

Seien Sie einstweilen gegrüsst.
Ihre E. N.

P.S. Ich habe noch etwas vergessen zu fragen: Wie ist das denn für Sie, wenn Sie vor umringtem Publikum sprechen, einem Ring von Publikum um Sie rum? Ist denn das nicht gefährlich? Haben Sie body-guards? (wär das was für mich eventuell?). Bei Ihren explosiven Aussagen. Das Publikum ist ja eigentlich immer ein potentieller Feind, nicht wahr?. Ich hoffe, Sie seien da gut geschützt. Es würde mich sonst beunruhigen. Ich hoffe, auch Sie als Künstlerin oder wie ich Sie nennen soll, als Künstlerin, die scheinbar eine Mission hat, wissen, wie Sie mit dem Publikum umzugehen haben. Ach, jetzt erinnere ich mich gerade: doch doch, Sie haben auch schon ein paar Machotypen im Publikum erledigt, die frech geworden waren! Stimmt, genau so wars. Dann kann ich ja aufatmen. Denn wissen Sie, die kritischen Bürgerinnen und Bürger, die in den Sesseln der – sozusagen – Jury sitzen, also eigentlich das gesamte Theaterpublikum, wenn man so will, inklusive die Mitarbeitenden des Hauses, sind Ihre Kritiker. Sie nörgeln bestenfalls nur an Ihnen rum, machen vielleicht sogar verbotenerweise Handyaufnahmen, was weiss ich – aber schlimmer sind die, die gerne so wie Sie wären es aber nicht können. Deshalb hatte ich es eben probiert, das mit dem Nachthemd. Um auch mal mutig sein zu können. Aber die meisten von denen machen die Faust im Sack, pressen die Kiefermuskeln zusammen und warten mal ab. Die sind gefährlich! Nicht die, die in der Dämmerung im Nachthemd rumlaufen, merken Sie sich das! Item. Also nochmals zu den Besserwissern: Nehmen Sie sich vor diesen in acht! Sie sind eine Art Spione des Feindes: Zu Ihnen sind sie soweit nett, aber achten Sie mal auf deren Kaumuskeln! Ihre Augen sind stumpf, oder besser glaubt man eine dumpfe Suppe an Talentfreiheit und abstrusen Gedankenkonstruktionen zu sehen, die sich wie eine zähe Masse in verschiedenen trüben Farben, die sich unter Wasser träge um sich selbst kreist. Da heisst es Obacht! Ihr Blick verrät schon alles. Es ist einfach, sie zu identifizieren. Sie lächeln Sie nach der Show an und sagen zur Gratulation zum gelungenen Abend: ‘ich habe einen Kumpel, der ist auch Künstler’ oder ganz raffiniert ‘Ihre Roben waren so phantastisch’. Also hier könnte ich ansetzen. Als Ihr Body-Guard. Ihr Outfit-Bodyguard. Undercover natürlich, mit denselben Tricks wie die des feindlichen Lagers. Säuselnd würde ich den Leuten über Komplimente alles aus ihnen rausziehen, was ich wissen müsste. Wie Würmer aus der Nase. Ach, vielleicht wäre es wohl besser, die Würmer dort zu lassen wo sie sind, nicht wahr? Jedoch - wenn ich es bedenke, dass ich es sehr gut gebrauchen könnte: Gegen anständige Bezahlung würde ich es tun!

So ein Auftritt wie ein Ihriger ist, wie wenn man jemanden in ein Haifischbecken wirft, wissen Sie! Da möchte ich Sie doch beschützen können. Mit meiner diplomatischen Art. Wo Sie aneckten, fahrte ich sanft dazwischen. Ihre Ecken und Kanten polsterte ich sozusagen. Ich würde überall hingehen und sagen: «aber sie meint es doch gar nicht so», «sie meint es ganz anders», und so weiter. Das wäre die Polster-Strategie. Und die andere eben die mit den Würmern. Bringt mich grad dazu, Ihnen jetzt noch gerade rasch mein Sternzeichen zu verraten: Ich bin Ratte. Genau gesagt Metall-Ratte. Lange Zeit meines Lebens habe ich damit gehadert, eine Ratte zu sein, aber seit ich gelesen habe, dass diese Tiere so solidarisch untereinander sind, dass sie, wenn sie älter sind und nicht mehr so mögen, lieber ihren Arsch in einen Durchgang stopfen, damit die jungen auf der anderen Seite des Ganges gefahrlos durchkommen, als den eigenen Arsch zu retten, bin ich total fasziniert von ihnen. Ist das nicht unglaublich? Stellen Sie sich mal vor, ein solches Martyrium auf sich zu nehmen. So möchte ich nun auch das halten, denn ich bin auch nicht mehr frisch, sitze auch schon eher schief auf dem Ast (als Metallratte vielleicht ein blöder Vergleich, ich weiss) und eigentlich wäre ich schon bald alt genug, um meine Memoiren herauszugeben, doch was soll ich von mir erzählen? Sehen Sie mich doch an! Da kam ich eben auf die Idee, so wie Sie zu werden. Aber als Ihr Gegenstück. Ihr Under-Ego. Sie im Rampenlicht und ich im Rattenloch. Wie schon gesagt, ich wäre gerne Ihr Gehülfe, ihr Sancho Pansa, der Robin von Batman, dick und doof, Sie wissen schon: mit den Torten. Also steht der Deal?
 
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17. September 2023
 
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09. Juli 2023
 
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