Texte
Nachhaltiges Leben – Wohnen – Arbeiten
Irène Rose Jenny Merz
Mit einem kleinen Unwohlsein stehe ich heute vor Ihnen. Was schreibt eine Frau mit achtzig Jahren über das Thema nachhaltiges Leben – Wohnen und Arbeiten? Die Hälfte meines Lebens verbrachte ich in unbedenklicher Ruhe, trug im Winter meinen rassigen Fuchspelzmantel und trug ihn so lange, bis meine aufgeweckten Töchter mir geraten haben, diesen im Keller zu deponieren. «Das Tierwohl» - Pelz ja oder nein, verlangte von mir ein erstes, ernsthaftes Nachdenken. Ein Nachdenken mit kleineren, auch grösseren Schritten, Forderungen zu einem nachhaltigeren Leben beachtend, denen wir uns, meine Familie und ich, mit Überzeugung angeschlossen haben.

Meine kleine Geschichte zu unserem heutigen Thema beginne ich im Baselbiet.

«Mein Dorf Wenslingen», traumhaftschön gelegen, umgeben von grünen Wiesen, Weiden und Äckern, wo Kühe, Schafe und Hühner ein gemütliches Dasein fristen. Ich erinnere mich an die Ziegen im nachbarlichen Gehege, die mir morgens und abends meckernd einen Gruss schickten, dann, wann ich die Vorhänge meines Schlafgemaches zur Seite schob und abends in umgekehrter Weise wiederholte. Der Blick zum «Wiesenberg», dem höchsten Gipfel des Bauernstaates, die unzähligen Kirschbäume, deren Blust im Frühjahr die Welt rund um’s Dorf verzaubern, erfüllte mich mit Wonne und Wärme.

Ein Bauernhof, mein Lieblingspferd «Leni», Grossmutters Gemüsegarten und im Sommer die Beerensuche im nahegelegenen Wald: «Es gehen auch andere Frauen des Dorfes zum Beerenpflücken in den Wald. Du sollst wissen, dass noch nicht alle unter ihren langen schwarzen Röcken eine Unterhose tragen, es ist dieses hygienische Attribut noch nicht bis in unser Dorf gekommen; schaue schnell weg, solltest du dies bemerken.» Es war meine Grossmutter eine wohlgelittene Frau im Dorf, es umwehte sie ein aufgeschlossener, moderner Stadtgeruch, denn als junge Frau verbrachte sie einige Jahre in der Stadt. Das Wort nachhaltig war niemandem aus jener Generation ein Begriff. Man lebte höchst bescheiden, den Umständen gehorchend nachhaltig.

Erst mit achtundsechzig Jahren kehrte ich, nach einem halben Leben in der Stadt, wieder zurück in «mein» Dorf. Ich verliess die städtische Umgebung, verliess dort ein zu gross gewordenes Haus und dies nicht aus dem Bedürfnis nach nachhaltiger Lebensart, sondern einem inneren Wunsche gehorchend, meinen Kindheitserinnerungen zu folgen, dort zu leben, wo ich bei meinen Grosseltern meine Schulferien verbringen durfte.

Doch immer wieder fragte ich mich: «Passe ich, die Zugezogene, auch in «mein Dorf», wo alle alles von allen wissen?» Einmal farbenfroh, einmal elegant gekleidet, begegnete ich den neugierigen Fragen: «Wo warst Du gestern, wann gehst Du wieder auf Reisen?»
Es waren nicht diese Fragen, die mich beschäftigten, es war die Frage: «Brauchst du, seit Jahren alleinstehende Frau, noch so viel Wohnraum?» Das Posamenterhäuschen, das ich von Grosstante Lineli geerbt hatte, war längst kein «Häuschen» mehr. Der stattliche Innenausbau verwandelte das heimelige Gemäuer in ein wohlgeratenes Haus.

Mir ist bewusst, dass ich ein Nachkriegskind, mit meinen Eltern eine Zeit erlebte, wo zunehmender Wohlstand so manche zunehmende Lebensqualität erlaubte, von der unsere Lieben auf dem Dorfe kaum zu träumen wagten. Von Nachhaltigkeit war mit Sicherheit nie die Rede; ein gutes Stück Fleisch fand sich des Öftern auf dem Sonntagsspeisezettel, dass ich dieses nicht mochte, hatte nichts mit Nachhaltigkeit zu tun, sondern mit meiner Liebe zu den Hasen in meines Grossvaters Garten in Allschwil. 

In meiner Kindheit besuchten wir sonntags die Grosseltern im Baselbiet per Bahn. Dann kaufte mein Vater sein erstes Auto, einen schwarzen Opel.

Mein Auto ist weiss und der heute selten gewordene Gebrauch meiner vier Räder schenkt mir ein besseres Gewissen. Mittlerweile sind wir vier Nasen, meine Grosskinder und ich, die sich den fahrbaren Untersatz teilen.
In einer ruhigen Sackgasse, Mitten in der Stadt, fand ich meine Wohnung fürs Alter und an Stelle der Quadratmeter Wohnraum wie bis anhin, genügt mir die Hälfte.

Jahrzehnte sind vergangen, der Wahnsinn des Überflusses und die tragische Notlage, die Millionen von Menschen betrifft, lassen sich nicht stoppen. Heute berichtet die Tageszeitung davon, dass man sich für Fr. 70'000.- einen Golfplatz in der eigenen Stube einrichten kann, derweil in manch Afrikanischen Gegenden die Hungersnot Ungezählten den Tod bringt, unterernährte Kinder sich eine Handvoll Heuschrecken in den Mund stecken und ihre hohlwangigen, zahnlosen Mütter sich der Hoffnung hingeben, es könnten diese, etwas proteinhaltigen Heuschrecken, als Nahrungsersatz dienen. Ein Frühstück bei Dolder in Zürich kostet pro Person Fr. 180.- . Ein Geschehen, dem Irrsinn nahe, welches noch immer viel zu wenige erkennen mögen.


 Reicht das, mit Überzeugung und Wahrhaftigkeit gelebte Bemühen meiner erwachsenen Grosskinder, die Gemüse aus eigenem Garten verwenden, sich nachhaltig kleiden und das Reisen mit nachhaltigem Fussabdruck bewerten? Sie sind Teil einer wachsenden Gemeinschaft, ihrer Verantwortung bewusst, ein lebenswertes Leben auf unserer Erde auch für kommende Generationen zu erhalten.
Schon zu Kindergartenzeiten begleiteten mich meine Grosskinder oft auf den Bauernhof Agrigo in Therwil. Der Wunsch nach Biogemüse war für meine Familie der erste, echt grosse Schritt zur Nachhaltigkeit. Über Jahre half ich jeden Donnerstag beim Füllen der Gemüsesäcke für unsere Abonnentinnen und Abonnenten.

Ein Zeitungsartikel, vor 40 Jahren, schenkte die Möglichkeit, längst gehegte, stille Gedanken in die Tat umzusetzen. Eine damals bescheidene Zahl von Gleichgesinnten, suchte nach unterstützenden Mitgliedern zur Gründung einer Genossenschaft für biologischen Landbau. 

Ein Jammer, noch immer und wie lange noch, gegen eine Mehrheit anzutreten, die ungläubig, blind, materielle Erfolge und persönliches Wohlergehen der Verantwortung entgegensetzt. Einer Mehrheit, die in unserem Lande, nur wenige Tage vor einer Sintflut im Nachbarland, vor brennenden Wäldern in Sizilien, Griechenland und der Türkei, ein Gesetz zur Verschärfung der Co2 Emissionen an der Urne verwarf! Wird einst gelingen, die politisch verantwortlichen Kräfte davon zu überzeugen, dass nur ein Umdenken, im Sinne einer nachhaltigeren Lebensweise, uns vor schlimmerem bewahren kann? «Die letzten Tage der Menschheit» (Schauspiel von Karl Kraus) mögen auch den Ungläubigen erspart bleiben.






























 


                                                 



Nachhaltiges Leben – Wohnen – Arbeiten

Mit einem kleinen Unwohlsein stehe ich heute vor Ihnen. Was schreibt eine Frau mit achtzig Jahren über das Thema nachhaltiges Leben – Wohnen und Arbeiten? Die Hälfte meines Lebens verbrachte ich in unbedenklicher Ruhe, trug im Winter meinen rassigen Fuchspelzmantel und trug ihn so lange, bis meine aufgeweckten Töchter mir geraten haben, diesen im Keller zu deponieren. «Das Tierwohl» - Pelz ja oder nein, verlangte von mir ein erstes, ernsthaftes Nachdenken. Ein Nachdenken mit kleineren, auch grösseren Schritten, Forderungen zu einem nachhaltigeren Leben beachtend, denen wir uns, meine Familie und ich, mit Überzeugung angeschlossen haben.


Meine kleine Geschichte zu unserem heutigen Thema beginne ich im Baselbiet.

«Mein Dorf Wenslingen», traumhaftschön gelegen, umgeben von grünen Wiesen, Weiden und Äckern, wo Kühe, Schafe und Hühner ein gemütliches Dasein fristen. Ich erinnere mich an die Ziegen im nachbarlichen Gehege, die mir morgens und abends meckernd einen Gruss schickten, dann, wann ich die Vorhänge meines Schlafgemaches zur Seite schob und abends in umgekehrter Weise wiederholte. Der Blick zum «Wiesenberg», dem höchsten Gipfel des Bauernstaates, die unzähligen Kirschbäume, deren Blust im Frühjahr die Welt rund um’s Dorf verzaubern, erfüllte mich mit Wonne und Wärme.
Ein Bauernhof, mein Lieblingspferd «Leni», Grossmutters Gemüsegarten und im Sommer die Beerensuche im nahegelegenen Wald: «Es gehen auch andere Frauen des Dorfes zum Beerenpflücken in den Wald. Du sollst wissen, dass noch nicht alle unter ihren langen schwarzen Röcken eine Unterhose tragen, es ist dieses hygienische Attribut noch nicht bis in unser Dorf gekommen; schaue schnell weg, solltest du dies bemerken.» Es war meine Grossmutter eine wohlgelittene Frau im Dorf, es umwehte sie ein aufgeschlossener, moderner Stadtgeruch, denn als junge Frau verbrachte sie einige Jahre in der Stadt. Das Wort nachhaltig war niemandem aus jener Generation ein Begriff. Man lebte höchst bescheiden, den Umständen gehorchend nachhaltig.

Erst mit achtundsechzig Jahren kehrte ich, nach einem halben Leben in der Stadt, wieder zurück in «mein» Dorf. Ich verliess die städtische Umgebung, verliess dort ein zu gross gewordenes Haus und dies nicht aus dem Bedürfnis nach nachhaltiger Lebensart, sondern einem inneren Wunsche gehorchend, meinen Kindheitserinnerungen zu folgen, dort zu leben, wo ich bei meinen Grosseltern meine Schulferien verbringen durfte.

Doch immer wieder fragte ich mich: «Passe ich, die Zugezogene, auch in «mein Dorf», wo alle alles von allen wissen?» Einmal farbenfroh, einmal elegant gekleidet, begegnete ich den neugierigen Fragen: «Wo warst Du gestern, wann gehst Du wieder auf Reisen?»
Es waren nicht diese Fragen, die mich beschäftigten, es war die Frage: «Brauchst du, seit Jahren alleinstehende Frau, noch so viel Wohnraum?» Das Posamenterhäuschen, das ich von Grosstante Lineli geerbt hatte, war längst kein «Häuschen» mehr. Der stattliche Innenausbau verwandelte das heimelige Gemäuer in ein wohlgeratenes Haus.

Mir ist bewusst, dass ich ein Nachkriegskind, mit meinen Eltern eine Zeit erlebte, wo zunehmender Wohlstand so manche zunehmende Lebensqualität erlaubte, von der unsere Lieben auf dem Dorfe kaum zu träumen wagten. Von Nachhaltigkeit war mit Sicherheit nie die Rede; ein gutes Stück Fleisch fand sich des Öftern auf dem Sonntagsspeisezettel, dass ich dieses nicht mochte, hatte nichts mit Nachhaltigkeit zu tun, sondern mit meiner Liebe zu den Hasen in meines Grossvaters Garten in Allschwil. 

In meiner Kindheit besuchten wir sonntags die Grosseltern im Baselbiet per Bahn. Dann kaufte mein Vater sein erstes Auto, einen schwarzen Opel.

Mein Auto ist weiss und der heute selten gewordene Gebrauch meiner vier Räder schenkt mir ein besseres Gewissen. Mittlerweile sind wir vier Nasen, meine Grosskinder und ich, die sich den fahrbaren Untersatz teilen.
In einer ruhigen Sackgasse, Mitten in der Stadt, fand ich meine Wohnung fürs Alter und an Stelle der Quadratmeter Wohnraum wie bis anhin, genügt mir die Hälfte.

Jahrzehnte sind vergangen, der Wahnsinn des Überflusses und die tragische Notlage, die Millionen von Menschen betrifft, lassen sich nicht stoppen. Heute berichtet die Tageszeitung davon, dass man sich für Fr. 70'000.- einen Golfplatz in der eigenen Stube einrichten kann, derweil in manch Afrikanischen Gegenden die Hungersnot Ungezählten den Tod bringt, unterernährte Kinder sich eine Handvoll Heuschrecken in den Mund stecken und ihre hohlwangigen, zahnlosen Mütter sich der Hoffnung hingeben, es könnten diese, etwas proteinhaltigen Heuschrecken, als Nahrungsersatz dienen. Ein Frühstück bei Dolder in Zürich kostet pro Person Fr. 180.- . Ein Geschehen, dem Irrsinn nahe, welches noch immer viel zu wenige erkennen mögen.


 Reicht das, mit Überzeugung und Wahrhaftigkeit gelebte Bemühen meiner erwachsenen Grosskinder, die Gemüse aus eigenem Garten verwenden, sich nachhaltig kleiden und das Reisen mit nachhaltigem Fussabdruck bewerten? Sie sind Teil einer wachsenden Gemeinschaft, ihrer Verantwortung bewusst, ein lebenswertes Leben auf unserer Erde auch für kommende Generationen zu erhalten.
Schon zu Kindergartenzeiten begleiteten mich meine Grosskinder oft auf den Bauernhof Agrigo in Therwil. Der Wunsch nach Biogemüse war für meine Familie der erste, echt grosse Schritt zur Nachhaltigkeit. Über Jahre half ich jeden Donnerstag beim Füllen der Gemüsesäcke für unsere Abonnentinnen und Abonnenten.
Ein Zeitungsartikel, vor 40 Jahren, schenkte die Möglichkeit, längst gehegte, stille Gedanken in die Tat umzusetzen. Eine damals bescheidene Zahl von Gleichgesinnten, suchte nach unterstützenden Mitgliedern zur Gründung einer Genossenschaft für biologischen Landbau. 

Ein Jammer, noch immer und wie lange noch, gegen eine Mehrheit anzutreten, die ungläubig, blind, materielle Erfolge und persönliches Wohlergehen der Verantwortung entgegensetzt. Einer Mehrheit, die in unserem Lande, nur wenige Tage vor einer Sintflut im Nachbarland, vor brennenden Wäldern in Sizilien, Griechenland und der Türkei, ein Gesetz zur Verschärfung der Co2 Emissionen an der Urne verwarf! Wird einst gelingen, die politisch verantwortlichen Kräfte davon zu überzeugen, dass nur ein Umdenken, im Sinne einer nachhaltigeren Lebensweise, uns vor schlimmerem bewahren kann? «Die letzten Tage der Menschheit» (Schauspiel von Karl Kraus) mögen auch den Ungläubigen erspart bleiben.


                                                   Irène Rose Jenny Merz           
                                                   September 2021        



 


































 


                                                 



 
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