Costa Rica
Marco Panozzo
10. November 2024
Die Einladung kam ebenso überraschend wie exklusiv daher.
‚Lieber Christian, ich möchte dich und die anderen Kollegen unserer Geschäftsleitung auf ein Wochenende mit Yachtausflug an der Côte d’Azur einladen. Wir treffen uns am Freitag, den 15. Mai um 17h im Hotel Carlton in Cannes, An- und Rückreise sind individuell, alles Weitere ist organisiert. Bitte gib‘ mir bis in zehn Tagen Bescheid, ob das für dich passt. Ich hoffe auf ein tolles Wochenende mit euch, herzlichst, dein Franz Klausener.‘
Christian Friedrich ist Marketingleiter im Keramik- und Porzellanwarenunternehmen von Franz Klausener, einem Familienbetrieb mit 400 Angestellten. Er ist 52 und seit 15 Jahren im Betrieb. Die Firma hat ihren Hauptsitz in der Schweiz die drei Produktionsstätten sind in osteuropäischen Ländern. Seit einem Monat ist bekannt, dass Klausener das Unternehmen an eine deutsche Firma verkauft hat. Er, Christian Friedrich, und seine anderen drei Geschäftsleitungsmitglieder haben eine Jobgarantie für ein Jahr und können sich in dieser Zeit für einen Posten im neuen Unternehmen bewerben. Er schaut sich die Einladung einen Moment nachdenklich an und greift dann zu seinem Telefon, um seinen Kollegen, den Vertriebsleiter Mario Grossniklaus, anzurufen. Er will wissen, ob er die Einladung auch bekommen hat und ob er sie annimmt und als dieser bejaht, kontaktiert er auch die beiden anderen, den Finanz- und den Produktionsleiter. Beide bestätigen, dass auch sie kommen werden und Friedrich schlägt vor, dass sie alle gemeinsam mit seinem Auto nach Cannes fahren.
Franz Klausener, der Besitzer des Unternehmens ist 67 und führt es in der dritten Generation. Jetzt hat er beschlossen, es zu verkaufen. Die Konkurrenz im Ausland ist grösser und produziert unter besseren Bedingungen, ein paar Fehlentscheide beim Produktesortiment haben die Firma zusätzlich etwas in Schieflage gebracht. Eine Nachfolgeregelung innerhalb der Familie kommt nicht in Frage, seine drei Söhne haben andere Interessen. Persönlich steht er vor der Scheidung seiner Ehe, die teuer werden könnte. Franz Klausener hat sich mit der Situation abgefunden und stellt sich auf einen neuen Lebensabschnitt ein, der ihm völlig neue Perspektiven eröffnen soll. Er ist seit einiger Zeit mit Heidi Vogt liiert, die in seiner Firma als Personalleiterin tätig ist und mit der er sich sehr gut vorstellen kann, die kommenden Jahre gemeinsam zu verbringen.
Er hat zudem seit seiner Jugend eine Freizeitbeschäftigung, der er sich bis heute intensiv gewidmet hat, der Ornithologie. Er hat in diesem Zusammenhang schon verschiedene Reisen unternommen, sein großes Ziel aber, das er jetzt realisieren kann, ist ein längerer Aufenthalt in Costa Rica. Er will vorerst für ein Jahr zusammen mit Heidi dorthin und die Vogelwelt Mittelamerikas studieren, die einzigartig sein soll. Er hat auch schon Kontakt aufgenommen mit der lokalen Gesellschaft für Ornithologie in Costa Rica, die ihm bei seinen Studien behilflich sein will.
Er kann es kaum erwarten abzureisen, es ist ein langjähriger Traum, den er sich jetzt aufgrund der neuen Umstände erfüllen kann. ‚Weißt du, sagt er seiner Partnerin, ‚Costa Rica ist ein sicheres Land, der Lebensstandard ist auch für unsere Verhältnisse hoch und nach einem Jahr entscheiden wir, wie es weitergehen soll. Zurück können wir immer. Und wenn du Lust hast, eine Tätigkeit aufzunehmen, kannst du das dort auch, du hast alle Voraussetzungen dafür.‘ Franz Klausener wird richtig enthusiastisch, wenn er ins Erzählen kommt. Er ist ein bodenständiger und umgänglicher Mensch, freundlich mit allen und, wenngleich in bestimmten Dingen prinzipientreu und manchmal streng, ein Mensch mit dem Herz auf dem rechten Fleck.
Er hielt es nun für angemessen, sich gegenüber seinen Kollegen in der Geschäftsleitung persönlich erkenntlich zu zeigen und sie zu einem exklusiven Wochenende einzuladen. Er hat einen Hochsee-Bootsführerschein und will für einen Tag in Cannes eine Yacht mieten und mit ihnen allen aufs Meer hinausfahren. Es soll ein denkwürdiger Anlass werden, 5-Sternehotel inklusive.
Wie vereinbart, treffen er und Heidi am späten Freitagnachmittag im Hotel Carlton ein und begrüßen die vier geladenen Herren. Die Zimmer werden bezogen und man trifft sich zu einem Apero an der Bar. Die Stimmung ist gelöst und alle freuen sich auf das Gala-Dinner in dem weitherum bekannten Restaurant des Hotels. Klausener reservierte einen runden Tisch für die sechsköpfige Gesellschaft, die um 20h in angemessener Garderobe im feudalen Lokal erscheint. Sobald der Weisswein im Glas ist, richtet Franz Klausener das Wort an seine Gäste. ‚Ich will mich kurz halten, es soll ein Abend der Genüsse und nicht der grossen Worte werden. Dennoch, es war mir ein Anliegen, euch, zusammen mit meiner Partnerin natürlich, für diesen Event einzuladen, nachdem wir so viele Jahre zusammengearbeitet und auch viel erreicht haben. Jetzt ist der Moment, euch in diesem kleinen Rahmen danke zu sagen und euch auch das Beste für eure Zukunft zu wünschen, die hoffentlich für alle aussichtsreiche und schöne Herausforderungen bringen wird.‘
In diesem Moment blicken sich die vier Herren kurz an. Nach ein paar Worten über das neue, private Projekt in Costa Rica, dem er sich nun ganz zuwenden entsteht eine kleine Pause und da Heidi Vogt begreift, dass das Wesentliche gesagt war und sie dem Redner quasi aus einer Verlegenheit helfen will, greift sie zum Glas und sagt ‚stossen wir an auf uns und auf dieses ausserordentliche Wochenende.‘ Keiner der Herren am Tisch macht Anstalten, etwas zu sagen, man prostet sich zu und Franz Klausener geht kurz auf das Programm des kommenden Tages ein. Geplant ist ein Halt auf den bei Cannes vorgelagerten Îles de Lérins und für die, die Lust hätten, ein Stopp auf See, um zu baden. Nach den letzten Worten beginnt das Dinner. Alle sind begeistert und der gute Wein löst nach und nach die Zurückhaltung der Gesellschaft, man unterhält sich angeregt über dies und das. Nach einem letzten Drink an der Bar, begeben sich alle zur Nachtruhe.
Anderntags, nach dem gemeinsamen Frühstück, geht’s direkt zum Hafen. Das Boot, das Klausener gechartert hat ist stattliche 12 Meter lang, hat eine Kajüte und Platz für sechs Personen. Die Ausstattung ist luxuriös und die Motorisierung entsprechend. Er steuerte selten ein Boot dieser Grösse und er ist etwas nervös., schliesslich hat er die Verantwortung und er will gerade vor dieser Gruppe keine schlechte Figur abgeben. Die Einweisung durch die Charterfirma verläuft zügig, ein Catering bringt Speisen und Getränke für den Tag auf See und nach ein paar Erläuterungen durch den Kapitän, geht’s mit den erlaubten drei Knoten Geschwindigkeit unter einem wolkenlosen Himmel aus dem Hafen und aufs offene Meer.
Klausener steuert das Boot sicher durch die Wellen, den Blick auf die Inseln, in Gedanken schon im mittelamerikanischen Urwald bei der Beobachtung der exotischen Tierwelt. Im Verlauf des Nachmittags halten sie kurz an, damit zwei der Gäste schwimmen gehen können. Nachdem alle wieder an Bord sind, wird Klausener von Christian Friedrich zum Achterdeck gerufen, wo zwei der Herren bereits Platz genommen haben. Der Finanzleiter und Heidi sind nicht anwesend. Friedrich, der so etwas wie der Wortführer der Gruppe ist, sagt: ‚Weißt du, Franz, wir gönnen es dir wirklich, dass du jetzt deine privaten Pläne realisieren kannst, aber, was den Verkauf deiner Firma angeht, da ist ein offener Punkt, der uns etwas Sorgen macht. Im Gegensatz zu dir, haben wir keinen Erlös vom Verkauf und auch keine nennenswerten Zusagen. Wir tragen ein beachtliches Risiko mit dem neuen Besitzer im Ausland und wir denken, dass du uns da noch etwas schuldest.‘ Klausener schaut verdutzt und versteht nicht ganz. ‚Um es kurz zu machen‘, sagt Friedrich, wir verlangen eine Million Abfindung für jeden von uns, das steht uns zu für unsere Treue zu dir in all den Jahren.
Klausener ist ein Mann, der an Eigenverantwortung, Rechtschaffenheit und Fleiss glaubt. Das Gute stellt sich ein für die, die so denken und handeln. Er glaubt, das Richtige für seine Mitarbeiter gemacht zu haben, eine Zusage von finanziellen Leistungen ohne dass etwas dafür getan werden muss, gibt es in seiner Welt nicht. Er ist entsetzt über die Forderung seiner Manager und weigert sich, auf sie einzugehen. ‚Schau, Franz, wir sind hier auf dem offenen Meer und du bist einer gegen vier. Wir wollen hier keine Tragödie inszenieren, also mach es nicht unnötig schwierig. Im Übrigen ist die erste Hälfte des Geschäfts bereits erfolgt, mit Hilfe deiner Personalleiterin‘, sagt Friedrich. In diesem Moment stösst Heidi Vogt, gefolgt vom Finanzleiter zur Gruppe, in der Hand einen Umschlag. Darin befinden sich die vier Schreiben, die die geforderte Abgeltungszahlung bestätigen, von ihr kurz zuvor persönlich unterschrieben, es fehlt nur die Unterschrift vom Firmenchef.
Klausener schaut seine Partnerin sprachlos an. ‚Heidi, was hast du getan, ich kann das nicht machen, du zerstörst unseren gemeinsamen Traum‘! ‚Ich wollte ein Teil sein deines Traums, Franz, aber ich bin nicht bereit, wegen Geld mein Leben aufs Spiel zu setzen, also unterschreib bitte.‘ Klausener weiss nicht, wie ihm geschieht und er schreit verzweifelt. ‚Niemals‘! In diesem Moment zieht einer der Männer eine Waffe und schiesst in die Luft. ‚Franz, wir meinen es ernst, unterschreib die Dokumente oder du und deine Heidi landen im Meer.‘ Unter Schock und blass im Gesicht nimmt Franz Klausener die Dokumente, geht zum Kommandostand und setzt seine Unterschrift neben die seiner Personalleiterin. Friedrich legt die Papiere zurück in den Umschlag, fordert Klausener auf, das Boot zu starten und zurückzufahren und begibt sich zu seinen Kollegen auf dem Achterdeck. Der überrumpelte Mann tut, wie ihm befohlen, Heidi Vogt stellt sich neben ihn am Kommandostand. Er startet den Motor und steuert das Boot Richtung Küste, stumm, am Boden zerstört, unfähig, einen normalen Gedanken zu fassen, vor sich die glänzenden Armaturen, für die er aber keinen Blick hat.
‚Gib Gas, Franz!‘ Klausener braucht einen Augenblick, bis er realisiert, dass die Frau neben ihm etwas zu ihm sagte, das sich anhörte wie ein Befehl. Er dreht sich zu ihr um, ‚was hast du gesagt?‘ Da hat Heidi Vogt bereits die Hand am Knauf des Gashebels und drückt ihn forsch nach vorn. Die beiden Volvo Penta Motoren mit zusammen knapp 800 PS beschleunigen das Boot auf beeindruckende Weise. Mit gegen 60km/h steuern sie dem Hafen von Cannes entgegen. ‚Heidi, was tust du da, willst du uns umbringen?‘ Sie schaut ihm kurz in die Augen und sagt ‚vertrau mir einfach‘. Die Küste kommt rasch näher und etwa einen halben Kilometer vor der Hafeneinfahrt lässt sie zwei kräftige Stösse des Signalhorns in die Bucht von Cannes los.
Die Massnahme verfehlt ihre Wirkung nicht, denn kurze Zeit später, bereits aufmerksam geworden ob der viel zu hohen Geschwindigkeit ihres Bootes in Küstennähe, kommt ihnen ebenso schnell die Hafenpolizei entgegen, fährt längsseitig an sie heran und befiehlt über Megafon das Boot zu stoppen und den Motor abzustellen. Nachdem die Beamten an Bord sind, erklärt Heidi Vogt den Zwischenfall, der sich ereignet hat und weist sie darauf hin, dass alle Beweisstücke der Straftat an Bord sind, inklusive einer Waffe, aus der kurz zuvor gefeuert wurde. Die Polizisten kommen unverzüglich ihrer Pflicht nach und beginnen mit der Untersuchung an Bord. Franz Klausener steht immer noch verwirrt und sprachlos im Kommandoraum, aber nach und nach dämmert es ihm, dass Heidi Vogt genau die Frau ist, mit der er seinen Traum verwirklichen muss. Er lächelt sie etwas verlegen von der Seite an, sie lächelt zurück, breit, weil sie weiss, dass alles gut kommen wird.